Es ist 5 Uhr morgens, draußen ist es kalt und dunkel. Ich bin in dicken Sachen eingepackt und laufe mit meiner Handytaschenlampe den Fluss entlang. Die meisten Menschen schlafen jetzt wahrscheinlich in warmen Betten, aber mein Vorhaben erfordert die frühen Stunden des Tages. Ich laufe den Fluss auf und ab. Mein Herz schlägt laut, Nervosität und Aufregung vermischen sich in mir. Die Augen aufs Wasser geheftet, erlaube ich mir keine Pause, ich suche. Eine Bewegung im Wasser, mein Körper erstarrt, meine Augen schießen auf die Stelle, aber es sind nur paar Enten. Zeit vergeht und ich spiele mit dem Gedanken aufzugeben, ich wende mich zum Gehen, aber ich kann nicht, ich bin nicht bereit die Suche ruhen zu lassen.
Nach Stunden der Stille, des Laufens und des Stehens, die Erlösung. Eine v‑förmige Welle taucht auf. Die Stunden in der Kälte zahlen sich in diesem Moment aus. Explosionsartige Freude schießt durch meinen Körper, aber erst jetzt fängt es an. Alles in mir möchte jubeln, aber ich friere ein. Im Wasser taucht eine braune Gestalt auf mit einem grauen Schnabel. Alles ist still nur eine frische Brise weht entlang des Sees. Vor mir schwimmt ein Schnabeltier, eines der scheuesten Tiere in Australien. Wenn ich ein Geräusch mache, dann taucht es schneller wieder ab, als ich Schnabeltier sagen kann. Einige Sekunden bleibt das Schnabeltier an der Wasseroberfläche, dann kommt der berühmte Abgang.
Nun muss ich spekulieren und mich schnell in eine neue Position begeben. Wenn es das nächste Mal auftaucht möchte ich näher dran stehen. Dementsprechend antizipiere ich anhand der Luftblasen, wo das Schnabeltier wieder auftaucht und gehe im flotten Schritt so nah dran wie möglich. Es taucht auf und ich friere wieder ein. Dieses Mal richte ich die Kamera auf das Schnabeltier und schieße wahrscheinlich hunderte Bilder. Das Wechselspiel mit dem Auf- und Abtauchen wiederholt sich und so auch meine Positionssuche und mein Einfrieren. Die ganze Aktion dauert wahrscheinlich 20 Minuten, dann verschwindet das Schnabeltier. Mein Herz pumpt vor Aufregung und ich kann nicht anders als dauerhaft zu grinsen.
Warum wilde Tiere sichten?
Der Aufwand bei der Wildtiersichtung ist sehr unterschiedlich, aber häufig mit vielen Herausforderungen verbunden. Stundenlanges Suchen ist nicht ungewöhnlich. Häufig bist du nicht einmal erfolgreich oder du hast Erfolg, aber deine mühevolle Suche resultiert in einigen Minuten der Tierbeobachtung. Und trotzdem lohnt es sich jedes Mal.
Tiere begeistern mich. So viele unterschiedliche Lebewesens leben in so unterschiedlichen Bedingungen mit den unterschiedlichsten Ausstattungen. In Tieren sehe ich Überlebenskünstler, aber auch Schönheit und mich selbst mit meinen Werten und Gefühlen. Für mich ist es unglaublich, was die Natur auf diese Welt gebracht hat. Deswegen liebe ich es Tiere in ihrer natürlichen Umgebung und ihrem natürlichen Verhalten zu beobachten.
Ich hab kürzlich eine Aussage gelesen, die es sehr gut beschreibt: „It sometimes feels as though these hard-earned encounters divide one’s life into discrete chunks.‘Before you were stared down by a family of snow leopards’ and ‘after you were stared down by a family of snow leopards’.” (Jack Ashby, Platypus Matters, Seite 1) Frei übersetzt heißt es, dass Tiersichtungen dein Leben so verändern können, dass es ein Leben vor der Sichtung und ein Leben nach der Sichtung gibt. Dem kann ich nur zustimmen, denn die Entdeckungen von wilden Schnabeltieren, Koalas, Kängurus, Wombats, Haien, Dingos, Schlangen und vielen Vögeln haben mich geprägt und verändert.
Ein großer Vorteil der Wildtiersichtung ist die Nähe zur Natur. Oft entkommst du der künstlichen Welt des Menschen und tauchst wieder in eine Welt ein die ihren eigenen Mechanismus hat. Die Umgebung von grün und frischer Luft tut der Seele einfach sehr gut. Zusätzlich ist die Freude an einem erfolgreichen Tag nicht in Worten zu beschreiben. Natürlich liegen Freud und Frust bei dieser Aktivität nah bei einander, aber wenn du nicht aufgibst, dann bist du irgendwann erfolgreich und dieses Gefühl überbietet jeglichen Aufwand und vergangene Enttäuschungen. Wenn du zum ersten Mal, nach einer langen Suche, ein wildes Tier entdeckst, dann wirst du dich für immer an dieses Erlebnis erinnern. Dagegen verbinde ich nichts mehr mit den Zoobesuchen in meinem Leben. Es lohnt sich in die Natur aufzubrechen und die Tiere so zu sehen, wie es sich gehört, frei und natürlich.
Vorbereitung
Bevor du losziehst, um wilde Tiere zu suchen solltest du dich vorbereiten. Recherche ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Suche. Zum Beispiel ist es von Vorteil zu wissen, dass Kängurus nachts sehr aktiv sind. Folglich ist die Wahrscheinlichkeit hoch ein Känguru in den frühen oder späten Stunden des Tages zu sichten. Im Internet lassen sich die wichtigsten Informationen über die Tiere finden. Apps und Internetseiten können sehr gute Tierspots herausstellen.
Auch lokale Einwohner können perfekte Tipps geben, damit du Erfolg hast. Manche Tiere werden von Menschen getracked. Auf einer Karte kannst du dann sehen, wo und wann ein bestimmtes Tier gesichtet wurde. Danach steht es dir frei mit der Information zu machen was du magst. Dieses Vorgehen haben wir bei der Schnabeltiersuche angewandt. Die App platypusSpot war sehr hilfreich. Bevorzugt sind wir zu den Orten gefahren, die sehr viele Sichtungen hatten. Du musst nur aufpassen, dass du dann nicht auf privatem Gelände landest. Sagen wir so, das ist uns nicht nur einmal passiert.
Ansonsten solltest du bei der Planung Klamotten, Verpflegung und Equipment berücksichtigen. Wenn es kalt ist und du ausharren musst, ist es angenehmer dick eingepackt zu sein. Bei längeren Suchen ist Essen und Trinken sehr praktisch und in Dunkelheit ist eine Taschenlampe sehr empfehlenswert. Wer übrigens auch seine Sichtung festhalten möchte, sollte eine Kamera mit aufgeladenen Akkus, sowie eine Speicherkarte dabei haben. Nichts ist nerviger, als das perfekte Fotomotiv aus eigener Doofheit zu verpassen.
Sicherheit
Ein Teil der Vorbereitung ist auch der Gedanke an die Sicherheit. Bei der Schnabeltiersuche kann nicht viel passieren, aber wenn du zum Beispiel Krokodile finden möchtest, dann ist dieser Aspekt sehr wichtig. Bei gefährlichen Tieren sollte immer eine Recherche erfolgen, so dass du alle Maßnahmen kennst, um sicher zu bleiben. Zusätzlich solltest du dich immer daran erinnern, dass es wilde Tiere sind, die sich natürlich verhalten. Wenn du eine Bedrohung oder ein Snack für jene darstellst, dann kann es gefährlich werden. Deswegen informiere dich online und am besten auch bei Experten vor Ort. In Nationalparks gibt es häufig Ranger, Informationszentren und Broschüren.
Abgelegene Orte in der Natur sind ein weiterer Aspekt der Sicherheit. In Australien haben wir uns angewöhnt ein Satellitentelefon mit zu nehmen, wenn wir remote unterwegs sind. So können wir im Fall der Fälle auf Hilfe zählen.
Vor Ort
Wenn du auf deiner Suche bist, dann genieße den Moment. Sollten andere Menschen in der Nähe sein, frag sie, vielleicht wissen sie was. Im Falle des Erfolgs, nimm dieses unbeschreibliche Gefühl mit und hab deinen Moment. Wichtig ist nur sich entsprechend der Umgebung respektvoll zu verhalten. Als Beobachter bin ich nur erfolgreich, wenn ich das Tier nicht belästige oder störe. Ich gehe in das Zuhause eines anderen Lebewesens und so sollte ich mich auch verhalten. Dementsprechend ist es ein Gesetz, dass Müll nicht hinterlassen wird. Außerdem solltest du dich nie dazu verleiten lassen ein Tier anzufassen. Lebewesen sind kein Eigentum oder Objekt.
Als Letztes bleibt zu sagen, dass du bei Misserfolg nie aufgeben solltest. Manche Tiere sind einfach sehr schwer zu finden, aber wenn du dran bleibst, dann wirst du sehr wahrscheinlich irgendwann deine Sichtung feiern können. Wenn ich unterwegs bin versuche ich mich immer ein wenig länger am Ort zu halten, selbst wenn mein Kopf mir sagt, dass es Zeit wird zu gehen. Häufig fand ich dann die Tiere. Durchhalten lohnt sich.
Fazit
Wildtiersichtungen sind ein sehr spezielles Hobby. Mich persönlich haben schon einige Momente geprägt und ich kann es jedem nur empfehlen. Der Moment wenn du dein Lieblingstier in der Natur findest, wird für immer ein besonderer sein.
~Daniel