Hintergrund
Endlich haben wir die sechs Monate Farmarbeit geschafft. Auf einer Milchfarm arbeiteten wir für ein halbes Jahr, um unser Visum zu verlängern. Dabei gab es viele Höhe- sowie Tiefpunkte. Ich blicke auf diese Zeit mit vielen Emotionen zurück.
Verlauf
Über unsere Anfänge auf der Farm haben wir bereits berichtet. Nach vielen Monaten der Arbeit wurde uns eine freie Woche in Aussicht gestellt. Dementsprechend gab es im Juni nochmal einen kleinen Schub. Bis zur Rundreise durch Victoria konnten wir nach langen Monaten der Arbeit wieder etwas Motivation gewinnen. Die Rundreise war definitiv ein großes Highlight während der sechs Monate Farmarbeit. Doch die neu gewonnene Kraft hielt nicht lange, da wir nach dieser Reise acht Tage durcharbeiten mussten. Danach waren wir so erschöpft wie zuvor.
Die Ruhe vor dem Sturm
Der Juli wurde ruhig und regnerisch. Doch es fühlte sich wie die Ruhe vor dem Sturm an, denn die nächste Kälbersaison stand bevor. Während der Kälbersaison kriegen sehr viele Kühe ein Kalb, wodurch sich die Herden schlagartig vergrößern und die Arbeitsstunden länger werden. Solange es weniger Arbeit gab, nutzen wir die Zeit, um uns zu erholen oder Projekte wie Red Dog fertig zu stellen.
Der letzte Monat
Im August gab es dann das heiße Finale. Einerseits brach die Kälbersaison ins Haus und andererseits lief alles drunter und drüber, weil die Farm verkauft wurde. Am ersten September sollte die Farmübergabe stattfinden und genau bis zu dieser arbeiteten wir auf der Farm. Diese Phase war der Wahnsinn und auch mental schwierig zu bewältigen. Unsere Freizeit ging zurück auf ein absolutes Minimum, die Leichtigkeit aus den letzten Monaten war weg und ein Lockdown nach dem anderen setzte uns zusätzlich zu. Je näher wir dem Ende kamen, desto schlimmer fühlte es sich an und desto mehr Chaos kam dazu. Nach über einem Jahrzehnt an einem Ort, hatten unsere Chefs ziemlich viel Müll angesammelt. Ganz nach dem Motto: Aus den Augen aus dem Sinn. Der letzte Monat war ein Berg an Arbeit, den wir jedoch Stück für Stück erklommen. Immer wieder gab es Dämpfer wie, dass mir eine Kuh auf die Hand getreten ist, dass wir unser Haus verlassen mussten, dass eine Kuh Jenny ein Tor ins Gesicht getreten hat oder dass wir in der letzten Chaoswoche fast jeden Tag um vier Uhr aufstehen mussten. Am Ende haben wir es geschafft und es war ein fantastisches Gefühl. Unser Ziel war es einen guten Abschluss auf dieser Farm zu haben und dies hatten wir erreicht.
Negatives während der Zeit
Sechs Monate Farmarbeit gingen nicht spurlos an uns vorbei. Einige Sachen raubten uns die Kräfte. An jeder Stelle gibt es auch Hürden, die dich stärker machen, wenn du sie überwindest.
Stunden, Stunden und noch mehr Stunden
Phasenweise hatten wir es echt gut auf der Farm. Manchmal gab es einfach ruhige Wochen, doch oft gab es auch das Gegenteil. Wenn es in die heißen Phasen ging, dann wurden es oft mehr als 50 Stunden in der Woche. Besonders hart war es, dass wir die Zeit nicht am Stück abarbeiten konnten, sondern immer über den ganzen Tag von morgens sehr früh bis abends verfügbar waren. Vor allem gegen Ende fiel uns auf, dass wir uns durch mache Wochen nur noch schleppten, weil wir jede Stunde auf unseren Schultern merkten. Im Nachhinein ist es eine Erfahrung, die uns stärker macht, weil wir gelernt haben wirklich hart zu arbeiten, aber zu der Zeit war es manchmal einfach zu viel des Guten.

Der moralische Konflikt
Im Verlauf der Zeit haben wir uns sehr verändert in Australien. Inzwischen leben wir viel bewusster und kennen unsere Verantwortung. Schon nach der ersten Milchfarm, wollten wir nicht mehr mit Tieren arbeiten, die ausgebeutet werden. Irgendwas brachte uns dennoch auf diese Farm, bei der Entscheidung folgten wir unserem Bauchgefühl. Zwischendurch jedoch hatten wir kleine Tiefphasen, während der Arbeit. Besonders in diesen nagte an uns, dass wir einen Job ausführten, der nicht unserer Vorstellung von Moral entspricht. An manchen Tagen überwältigten uns einfach unsere Gefühle. So ist es eines der schlimmsten Erlebnisse einer Kuh ihr Kalb weg zu nehmen. Die sechs Monate Farmzeit haben uns emotional sehr mitgenommen.
Lieblingskühe
Wenn du viel Zeit mit Tieren verbringst, dann erlebst du die unterschiedlichsten Persönlichkeiten. Mit der Zeit gab es eine Hand voll von Kühen, welche wir besonders mochten. Sie bekamen Namen von uns und manchmal gingen wir sie in unserer Freizeit besuchen. Kühe sind fantastische Tiere und diese bestimmten Kühe machten uns immer glücklich, wenn wir sie sahen. Die Realität in der Milchindustrie ist jedoch grausam. Am Ende landen Kühe, liebevolle Lebewesen, immer beim Schlachter. So konnten wir während unserer Zeit Stück für Stück beobachten, wie eine Kuh nach der anderen verschwand. Die Meisten gingen, wegen zu geringer Milchleistung, des Alters oder wiederkehrenden Krankheiten. Am Schlimmsten traf es mich bei einer Jungkuh. Wir entdeckten sie zunächst in der Herde mit den kranken Kühen. Sie humpelte sehr stark. Nach Monaten der Behandlung ging es ihr wieder besser. Doch leider hatte sie eine Frühgeburt. Jungkühe, sind diejenigen, die zum ersten Mal schwanger sind. Folglich war sie komplett verängstigt, aber mit der Zeit gewöhnte sie sich an den Melkprozess. Wahrscheinlich bedingt durch die Frühgeburt, gab sie zu wenig Milch. Deswegen wurde sie an den Schlachter verkauft. Ein gesundes junges Lebewesen zum Tode verurteilt, weil der Mensch nicht viel Geld durch sie gewinnen konnte. Diese Realität täglich zu leben, war eine harte Erfahrung.

Positives
Trotz sehr negativer Aspekte, gab es auch viele schöne Momente auf dieser Farm. Viele Erfahrungen haben uns persönlich weiter gebracht und wir versuchen vieles umzusetzen, damit wir besser werden.
Der zwischenmenschliche Umgang
Wenn wir alle unsere Jobs in Australien betrachten, dann war dieser der Einzige, wo der zwischenmenschliche Umgang passte. In der Farmindustrie gibt es sehr viele Horrorgeschichten für Backpacker. Viele Arbeitgeber benehmen sich daneben. Ich schätze, menschlich gesehen, brauchten wir genau diese Erfahrung, um eine positive Erfahrung aus den Farmjobs in Australien mit zu nehmen.
Insgesamt waren wir ein gutes Team auf der Farm. Unsere Chefs, versuchten uns immer so fair wie möglich zu behandeln. Zwischen der Arbeit konnten wir auch gut mal scherzen und wir konnten sagen, wenn uns was nicht passte. Menschlich fühlte es sich an wie ein Umgang auf Augenhöhe. Natürlich gab es auch einige Sachen die mal nicht passten. So meckerte unsere Chefin gerne voreilig, aber das war ein Teil ihrer Arbeitsweise und wenn sie mal falsch lag konnte sie sich auch entschuldigen. Außerdem gab es noch ein argentinisches Backpackerpärchen und den Farmmanager. Mit den Backpackern kamen wir sehr gut klar und mit dem Farmmanager die meiste Zeit auch. Seine Arbeitsweise eckte zwar öfters mal bei uns an, aber das war okay. Für uns war es einfach mal schön in einem funktionierendem Team zu arbeiten.
Kühe und unser Umgang mit Lebewesen
Wie schon erwähnt, lernten wir, dass Kühe sehr spannende Persönlichkeiten haben können. Auf der ersten Milchfarm quälten wir uns durch, doch auf dieser hatten wir die Möglichkeit über unsere Handlungen nach zu denken. So versuchten wir, so gut wie möglich mit den Kühen um zu gehen. In der Milchindustrie wird meistens sehr hart mit Kühen umgegangen. Sie werden geschlagen, getreten und recht grob behandelt. Auf dieser Farm lernten wir einen besseren Umgang mit den Tieren. Unser Verhältnis zu Ihnen hat sich sehr verändert, weil wir sahen wie sie sich fühlten. Kühe können sehr verspielt und neugierig sein, aber am stärksten prägte uns, dass sie sehr viel Liebe empfinden. Wenn eine Kuh mal Zeit mit ihrem Kalb hatte, dann kümmerte sie sich liebevoll um dieses. Es war sehr bewegend dieses Band zwischen Mutter und Kalb zu sehen. Auch in der Herde passten sie auf einander auf. Eines Tages fuhr ich Kühe von der Weide holen. Meistens laufen alle Kühe von alleine in die richtige Richtung. Überraschenderweise sah ich einen großen Kreis von Kühen, die sich nicht regen wollten. In der Mitte des Kreises lag eine Kuh, welche zusammengebrochen war. Die anderen Kühe schlackerten sie liebevoll ab und wollten nicht von ihrer Seite weichen. Solche Momente zeigten uns, wie viel mehr in diesen Tieren steckt.

Eine Farm mit Qualität
Warum leitete uns unser Bauchgefühl auf diese Farm? Unsere Chefin sicherte uns schon in den ersten Gesprächen zu, dass ihre Farm anders sei. Auf der ersten Farm machten wir fürchterliche Erfahrungen und sie meinte, dass wir bei ihr sehen würden, dass es nicht überall so ist. Unsere Chefin versprach uns nicht zu viel. Auf dieser Farm stand das Wohl der Kühe und die Qualität der Arbeit über der Geldmacherei. Wenn Kühe krank wurden, wurde vieles versucht, bevor sie aufgegeben wurden. Regelmäßig waren Tierärzte da, um die Kühe zu behandeln. Auf der anderen Farm sahen wir in drei Monaten zwei Mal einen Tierarzt auf dieser nahezu wöchentlich. Unsere Chefin behandelte die Tiere mit Respekt und, wenn sie vom Truck abgeholt wurden, verabschiedete sie sich von diesen und bedankte sich. Diese Farm zeigte uns, dass nicht jeder skrupellos mit Kühen umgeht, doch uns wurde auch klar gemacht, dass es nur wenig solcher “guten” Farmen gibt. Auch im Umgang mit dem Lebensmittel Milch wurde viel besser umgegangen. Auf der anderen Farm kam viel Scheiße mit in die Milch, erst spätere Filter trennten die Scheiße von der Milch. Auf dieser Farm wurde sehr viel Wert darauf gelegt, dass alles so sauber wie möglich abläuft. Insgesamt war es eine gute Erfahrungen zu sehen, dass es- Orte gibt, wo Qualität noch über dem Geld steht.
Unser Hund
Auf der Farm liefen einige Farmhunde rum. Irgendwie haben wir ein Herz für die Vierbeiner und wollten schon lange die Hündin Ruby zu uns ins Haus mitnehmen. Irgendwann fragten wir unsere Chefs und sie hatten kein Problem damit. Folglich übernachtete Ruby bei uns einmal. Wir rechneten selbst nicht, was daraus werden würde. Aus einmal wurden zwei und aus zwei drei und aus drei wurde jede Nacht. Ruby wurde zu unserem Hund und sie folgte uns überall hin. Wir spielten mit ihr sehr viel und abends kuschelten wir mit ihr im Bett. Mit der Zeit entwickelte sich ein starker Draht zu ihr und wir hatten eine fantastische Zeit. Wir haben sie in unser Herz geschlossen. Der Abschied am Ende war zwar hart, aber die Zeit mit ihr war es definitiv wert. Nach unserer letzten Schicht blieben wir noch über eine Stunden länger, weil es uns schwer fiel zu gehen. Und vielleicht hätten wir sie ja entführt, wenn sie nicht ein liebevolles und glückliches Zuhause gehabt hätte. Ruby ist ein glücklicher Hund, immer voller Freude und Energie. Unserer Chefs retteten sie, nachdem sie als Welpe ausgesetzt worden ist. Als freier Farmhund, sieht man ihr jeden Tag die Lebensfreude an. Wahrscheinlich hat sie fast noch nie eine Leine in ihrem Leben gesehen und wir freuen uns, dass sie ein tolles Leben hat. Sie war unser erster gemeinsamer Hund für eine gewisse Zeit und diese schöne Erinnerung werden wir immer in unserem Herzen tragen.
Fazit
Sag niemals nie im Leben, aber wir sind durch mit der Tierindustrie. Auf dieser Farm konnten wir viele Schritte in die richtige Richtung gehen. Doch wir hoffen wir werden uns treu bleiben und in Zukunft auf solche Jobs verzichten. Dennoch sind wir froh diese Erfahrung gemacht zu haben und zu wissen, dass es auch gute Menschen in dieser Industrie gibt. Wir sind dankbar für alle Erfahrungen, die wir machen durften.
~ Daniel